Auf meiner Suche nach Landwirten in Deutschland, die Hülsenfrüchte anbauen, bin ich vor ein paar Wochen auf Albert gestoßen.
Der Hof von Alberts Familie ist gar nicht so weit weg von uns: er liegt in Friedberg, nördlich von Frankfurt, 70km von Wehrda entfernt. Albert macht etwas Geniales, das ich noch bei keinem anderen Landwirt in Deutschland entdeckt habe: braune Kichererbsen! Die hat er letztes Jahr in einem Experiment das allererste Mal angebaut. Das hat mein Interesse geweckt!!
Als ich aber erfahren habe, dass Alberts Familie keine BIO-Landwirtschaft, sondern konventionelle Landwirtschaft betreibt, wurde mein Interesse getrübt. Mir ist es wichtig, wie die Pflanzen behandelt werden, weil die Tatsache, ob Chemie auf den Feldern ausgebracht wird, nicht nur eine Auswirkung auf die Natur, sondern vorallem auch auf unsere Gesundheit hat. Albert und seine konventionellen Kichererbsen waren für mich also uninteressant. Nachdem ich aber einige Zeit darüber nachgedacht habe, wollte ich es dann doch genauer wissen! Ich wollte Albert kennenlernen, um zu verstehen, warum er keine biologische Landwirtschaft betreibt.
Die Begegnung mit Albert und seiner Familie vor Ort auf dem Acker haben mich im Nachhinein zum Nachdenken gebracht.
Mit den kommenden Zeilen lade ich euch dazu ein, mit mir gemeinsam nach- und weiterzudenken, – damit wir alle nicht auf festgefahrenen Perspektiven verharren, sondern damit wir uns austauschen, um neuen Gedanken über die Landwirtschaft, die Gesellschaft und über unser Essen Raum geben zu können.
In den letzten Jahren bin ich zu einem absoluten Bio-Verfechter geworden. Dabei war für mich weniger das Bio-Zertifikat an sich wichtig, sondern viel eher die Tatsache, dass Pflanzen nicht mit Chemie behandelt werden.
Mir war klar, dass viele kleine Bauern sich kein teures Zertifikat leisten können und mir war klar, dass die Chemie alles kaputt macht – die Biodiversität und unsere Gesundheit! Dass aber noch viel mehr hinter der ganzen Bio-Frage steckt, war mir nicht bewusst.
Ich hatte mein Urteil:
konventionelle Landwirtschaft ist schlecht,
biologische Landwirtschaft oder noch besser, bio-dynamische Landwirtschaft, ist gut.
Klar war mir aber auch, dass wir alle (vor allem ich) sehr gut darin sind, uns ein Urteil zu erlauben. Die meisten von uns (wie ich) tuen das, obwohl sie aber doch eigentlich gar keine Ahnung haben, denn sie (ich) kommen ja nicht aus der Landwirtschaft.
Daher habe ich eines Tages mein Handy in die Hand genommen und die Nummer von Albert gewählt. Was er genau anbaut, wollte ich wissen, wie er das macht und warum er kein BIO macht.
Nachdem wir über 1 Stunde miteinander telefoniert haben, war mir klar: ich muss selbst zu Alberts Familie fahren und mir vor Ort anschauen, was und wie sie es machen. Am Telefon hatte ich durchaus Alberts Einstellung zu den ökologischen Fragen dieser Welt herausgehört und das hat dann doch mein Interesse geweckt. Alberts Einstellung hat mir gefallen, ich wollte mehr verstehen und das war mir wert, einen Ausflug nach Friedberg zu machen.
Bei meinem Besuch bei der Familie Bickert durfte ich dabei sein, als gerade Linsen auf dem Acker gesät wurden – eins von Alberts neuen Projekten in diesem Jahr. Ich hatte auch die Ehre einen Teil der Familie kennenlernen zu dürfen: Papa, Mama und Opa Bickert. Interessant war dabei zu erkennen, wie sich die Einstellung zur Landwirtschaft generationenabhängig unterschied.
Auf dem Land der Bickerts, das jetzt durch Albert in der 10. Generation bewirtschaftet wird, wurden traditionell Weizen, Zurckerrüben und Futtergerste angebaut.
Opa Bickert konnte mir noch von einer Zeit erzählen, in der ohne moderne Maschinen und ohne Spritzmittel gearbeitet wurde. Früher war Landwirtschaft körperliche Schwerstarbeit und die Erträge waren trotz des guten Bodens in der Wetterau nie sicher. Da war es natürlich ein Segen, als in den Jahrzehnten nach dem Krieg nicht nur hochentwickelte Maschinen, sondern auch chemische Mittel kamen, die nicht nur die körperliche Arbeit auf dem Feld leichter, sondern auch die Versorgung der Ernte sicherer gemacht haben.
„Chemie ist Gift“ sagt Opa Bickert, „ob für die Pflanzen oder als Medikamente für den Menschen. In einem geringen Maße verträgt es sowohl der Mensch als auch die Pflanze, aber wenn man zu viel gibt, wird es schädlich.“
Sein Sohn, Alberts Vater, erklärt mir, dass die Zuckerrübe ihre Hauptkultur sei. Die Zuckerrübe sei auch der Grund, weshalb sie nicht auf BIO umstellen können bzw. wollen. Für BIO-Zuckerrüben müssten sie nicht nur 3-4 Leute für Handarbeiten auf dem Feld einstellen, sondern sie müssten ihnen auch eine Unterkunft zahlen. Außerdem müssten sie die Zuckerrüben ernten, wenn sie noch unreif sind, denn die Zuckerfabriken haben nur bestimmte, limitierte Zeiten, in denen sie BIO-Ware verarbeiten. Der bedeutendste Grund aber schien für Alberts Vater die Tatsache zu sein, dass sie ihre Zuckerrüben mehrere hundert Kilometer weit bis zur nächsten Fabrik transportieren müssen, denn in Deutschland gäbe es nur 2 Zuckerfabriken. „Damit wäre der ganze ökologische Wert von BIO zunichte gemacht.“
Wieder Mal stelle ich fest, dass eines der größten Probleme in Deutschland die (immer weniger vorhandenen) Verarbeitungsbetriebe für landwirtschaftliche Erzeugnisse sind. Für Zuckerrüben gibt es nur 2 Fabriken und auch für Getreide oder Hirse gibt es in der ganzen Republik kaum noch Mühlen. Klar, dass es nicht ökologisch ist, landwirtschafliche Erzeugnisse quer durch Deutschland (oder weiter) und wieder zurück zu transportieren, da hat Alberts Vater wohl recht…..
Vielleicht hat er auch recht, wenn es um das Thema Spritzmittel geht (…?) „Kein Landwirt bringt freiwillig mehr Spritzmittel aus als nötig. Das kann schnell mal fast tausende Euro kosten. Aber irgendwann in kritischen Momenten muss sich der Landwirt fragen, ob er lieber seinen Pflanzen zur Frucht verhelfen will oder ob er auf den Ertrag verzichten kann/muss“. In manchen Fällen führt für Familie Bickert dann kein Weg daran vorbei, die chemischen Mittel auszupacken, erklären sie mir. BIO-Landwirtschaft bringt in der Regel die Hälfte des Ertrages. „Wenn alle nur BIO machen, könnte die ganze Welt nicht ernährt werden“, sagt mir Alberts Vater.
Albert gehört zu der jungen, neuen Generation. Nicht nur in seiner Familie, sondern auch in unserer Gesellschaft. Es ist die Generation, die mehr mit dem Nachhaltigkeits-Gedanken aufgewachsen ist, als alle anderen Generationen vorher. Albert hat vor ein paar Jahren sein Studium in Agrarwissenschaften beendet. „Ich versuche möglichst gar nicht zu spritzen“, sagt er. Die Hülsenfrüchte sind dafür geeignete Pflanzen, die wachsen in der Wetterau nämlich auch ohne chemische Mittel ganz gut. Mit seinen Experimenten musste sich Albert in der Familie erstmal durchsetzen. Kichererbsen, Linsen, Bohnen – sowas gab es in der ganzen Familiengeschichte seit Mitte 1600 noch nie auf ihren Feldern. Albert ist der erste, der es ausprobiert. Damit möchte er nicht nur der erste in der Familie, sondern auch der erste in Deutschland sein. Im Sommer 2020 hat er es geschafft, seine ganze Familie zu mobilisieren, um mit der Hand (!!!) das Unkraut zwischen den Kichererbsenpflanzen zu jäten. Auch ohne BIO-Zertifikat versucht Albert so viel „BIO“ wie möglich zu machen. „Die Leute, die Kichererbsen kaufen, sind in der Regel auch die Leute, die auf BIO achten“, sagt er.
Albert hat ein Blühpatenprojekt ins Leben gerufen und obwohl die Familie seine Experimente für Spinnereien hält, unterstützen sie ihn wo sie können. „Ich mag Kichererbsen,“ sagt Opa Bickert und mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „solange sie nicht auf meinem Teller landen“.
Nach dem Studium hat Albert beschlossen den Familienbetrieb zusammen mit seiner jüngeren Schwester Constanze fortzuführen. Constanze ist die Ideengeberin und fragt sich regelmäßig, was die heutige junge Gesellschaft gerne essen möchte. Das versucht Albert dann auf dem Feld umzusetzen. So kommen neue Kulturen und Sorten auf den Acker, von denen Opa und Oma noch nie gehört haben.
Wie die Frage der Ernährung, der Landwirtschaft und der Nachhaltigkeit mit den Generationen verbunden ist, habe ich ganz besonders während meinem Treffen mit der Familie Bickert festgestellt. Der Besuch bei ihnen hat mir viele neue Erkenntnisse gebracht. Dabei durfte ich auch erfahren, wie wichtig es ist, offen zu sein und sich selbst immer wieder ein neues Bild zu verschaffen. Mit den Leuten, d.h. mit den Erzeugern von unserem Essen, zu reden, ins Gespräch kommen, sich informieren – das hilft, um Zusammenhänge besser zu verstehen (und seine bisherigen festgefahrenen Glaubenssätze in Frage zu stellen).
BIO ja oder nein – das ist für mich weiterhin eine große Frage und mich interessiert wie ihr darüber denkt.
Es ist mir wichtig, die Menschen hinter den Erzeugnissen zu kennen und die Beweggründe für ihr Handeln zu verstehen. Denn im Endeffekt sagen die Menschen und ihre Lebens- und Arbeitsphilosophie viel mehr als jegliches Siegel darüber aus, ob ich einem Produkt Vertrauen schenken kann oder nicht. – Das ist die Erkenntnis, die ich aus der Wetterau mit nach Hause gebracht habe.
Wie denkt ihr darüber?
Albert hat seine Familie überzeugen können, dieses Jahr wieder ein neues Experiment mitzumachen: nach den weißen und braunen Kichererbsen aus dem letzten Jahr will er in diesem Jahr nicht nur schwarze Bohnen, sondern auch rote und gelbe Linsen anbieten können. Aus Deutschland für Deutschland.
Da es nur wenige Landwirte in Deutschland gibt, die Hülsenfrüchte anbauen, und da Hülsenfrüchte nicht nur für unsere Gesundheit, sondern auch für unsere Böden ein wahres „Wunder-Düngemittel“ sind, möchte ich Alberts Experimente unterstützen. Deswegen wandern seine Hülsenfrüchte in mein Ernährungs-Sortiment. Auch ohne BIO-Zertifikat. Ganz nach meinem Motto #wissenwaswirkaufenundwenwirdamitunterstützen.
Ich freue mich über Rückmeldungen und über eure Meinungen zur Landwirtschaft und zu unserem Essen.
Eure
Tanja